Lange vertagt, nun pünktlich kurz vor der Bundestagswahl auf die Tagesordnung genommen: Der Antrag der AfD, den „Sicheren Hafen“ abzuschaffen. Der Stadtrat Leipzig hatte im September 2020 beschlossen, dem deutschlandweiten Bündnis Sicherer Häfen beizutreten.
Diesen symbolischen Beschluss wollte die AfD wiederum sehr symbolisch zurücknehmen. Ideelle Schützenhilfe bekam Sie von der CDU-Fraktion, die mit einem Änderungsantrag den Ursprungsantrag sogar noch ein bisschen verschärfte.
Dazu sprach Stadtrat, ehemaliger Seemann und Pirat, Jan-Paul Helbig in der Ratsversammlung. Der Antrag wurde letztlich durch eine Mehrheit des Stadtrates abgelehnt.
Hier der Text zur Rede, es gilt wie immer das gesprochene Wort:
“Navigare necesse est, vivere non necesse est.”
Das soll Pompeius Gnaeus Magnus gesagt haben. Und meinte damit, dass er mit der Besatzung seines Schiffes trotz schlechter Wetterbedingungen in der Pflicht sei Rom zu versorgen, ungeachtet der Tatsache, dass die Fahrt gefährlich werden könne. Seefahrt ist notwendig, das eigene Leben sei dabei aufs Spiel zu setzen. Ein Gedanke der auch im Bereich der Seenotrettung zugrunde liegt. Viele Menschen setzen ihr Leben ein, um das anderer zu retten. Fürwahr sehr selbstlos und menschlich. Und als ehemaliger Seefahrer ist mir die Seenotrettung wichtig. Jemanden auf See aus der Not zu retten ist Pflicht.
Nun ein wenig aktueller und mit direktem rechtlichen und thematischen Bezug, fahre ich mit einem Zitat aus einem Schreiben (Aktenzeichen WD 2-3000-086/22) des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages fort.
Nach dem Internationalen Übereinkommen über Seenotrettung (im Folgenden SAR) besteht ebenso wie nach Art. 98 des Seerechtsübereinkommens eine Pflicht zur Seenotrettung, ebenso nach dem Internationalen Übereinkommen zum Schutz menschlichen Lebens auf See. Gerettete müssen innerhalb einer angemessenen Zeit an einen sicheren Ort gebracht werden. Ein „sicherer Ort“ im Sinne der seevölkerrechtlichen Verpflichtungen muss primär das Überleben der Geretteten gewährleisten können, u.a. durch Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse, nicht aber notwendigerweise durch eine Garantie der Menschenrechte. Ein „sicherer Ort“ kann grundsätzlich auch an Bord eines anderen, größeren Schiffes sein, wobei stets die konkreten Umstände des Einzelfalles maßgeblich sind. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bestätigte im Jahre 2019, dass ausreichende Hilfe auch außerhalb der staatlichen Hoheitsgewässer geleistet werden kann. Die Entscheidung, welchen Ort er ansteuert, trifft der Kapitän eines Seenotrettungsschiffes nicht nach eigenem Gutdünken. Zu beachten ist vielmehr das SAR-Regime, das Vorkehrungen zur Steuerung und Optimierung von Seenotrettungseinsätzen trifft. Demnach müssen Küstenstaaten Such- und Rettungszonen und Seenotrettungsleitstellen einrichten. Die Koordination von Rettungsaktionen übernimmt i.d.R. der Staat, in dessen SAR-Zone Schiffbrüchige aufgegriffen wurden. Den Anweisungen der koordinierenden Seenotrettungsleitstelle müssen Kapitäne von Seenotrettungsschiffen Folge leisten.
Während die rechtlich unverbindlichen Richtlinien des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge offenbar davon ausgehen, dass die Verbringung an einen sicheren Ort regelmäßig nur durch Ausschiffung an Land gewährleistet werden könne, sehen die SAR-Vorschriften aktuell keine Verpflichtung der Vertragsstaaten vor, einer Ausschiffung der Geretteten in einem ihrer Häfen zuzustimmen. Gleichwohl sollten Flaggenstaaten und Küstenstaaten nach Maßgabe der Resolution MSC.167(78) „über wirksame Vorkehrungen verfügen, um Kapitänen rechtzeitig Hilfe zu leisten, indem sie von diesen auf See aufgenommene Personen übernehmen.“
In geltendem Seevölkerrecht müssen Gerettete also nicht notwendigerweise in einen sicheren Hafen verbracht werden. Entsprechend besteht strukturell eine Rechtslücke zwischen der Seenotrettungspflicht der Kapitäne auf der einen Seite und dem Fehlen einer staatlichen Verpflichtung zur Aufnahme von Geretteten auf der anderen Seite.
Kurz gesagt: Pflichten zur Seenotrettung bestehen. Pflichten zur Aufnahme der Geretteten in ein bestimmtes territorial definiertes Gebiet nicht. Und hier setzt ein, was bereits in vergangenen Beschlüssen des Stadtrates ergangen ist. Humanitäres Handeln und die Bekundung zu Solidarität mit Menschen, die sich in wirklich schwerwiegenden Lebenslagen befinden und vorangegangen um ihr Leben fürchten mussten. Das erscheint nicht zu viel verlangt, vor allem wenn es laut Aussage im FA SGV in den vergangenen Jahren nur zu insgesamt einer einstelligen Anzahl von Aufnahmen unter diesen Bedingungen kam. Wahrlich kein überbordender Wert.
Die erwähnte bestehende strukturelle Rechtslücke werden wir nicht auflösen, doch können wir mit der Aufrechterhaltung der betreffenden Stadtratsbeschlüsse zeigen, dass uns Menschen nicht egal sind und es dafür einer staatlichen humanitären Lösung bedarf. Der Antrag der AfD, in dem unzureichend dargelegte Sachargumente in den Wogen ideologisch verbrämter Formulierungen untergehen, entzieht sich für uns der Zustimmbarkeit.
Dem darauffolgenden CDU-Änderungsantrag werden wir ebenso nicht zustimmen, da dieser die Forderungen einfach nur etwas strukturierter dargestellt übernimmt, also grundsätzlich desselben Geistes ist, und ebenso außer Acht lässt, dass die Anzahl der Forderungen der Seebrücke insgesamt 11 sind und nicht nur acht und weiterhin, dass eine ideelle Patenschaft für ein nicht mehr existierendes Schiff (das gibt es seit Ende 2023 nicht mehr) nicht per Beschluss aufgehoben werden muss.